Die Landesregierung in Bad-Württemberg plant die Astronomie aus der Schule zu verbannen.
Die Welt der Sterne, unser Universum, ist eine spannende Sache. Das wußten auch bereits die hessischen Landgrafen, die über Jahrhunderte eine Sternwarte in Kassel betrieben oder die pfälzischen Kurfürsten, die in Mannheim eine Sternwarte errichteten, deren Gerätschaften die Grundlage für die Landessternwarte auf dem Königstuhl in Heidelberg bildeten. Kein Wunder also, dass sich schön die Jüngsten dafür interessieren und uns lehrenden Astronomen “Schwarze Löcher” in den Bauch fragen. Die Weltraumforschung und die Weltraumfahrt sind für Deutschland und für Europa ein enormes Potential. Dies hat kürzlich ESA Generaldirektor Johann-Dietrich Wörner in einer flammenden Rede zur Eröffnung des neuen Ausstellungsbereich “Deutsche Astronauten” im Technik Museum in Speyer deutlich gemacht. Wörner hat eine klare Vision für die Europäische Raumfahrt, die er gerne von kommenden Generationen umgesetzt sehen möchte. Eine bemannte Mondstation, Reisen zum Mars und weiter.
Damit diese Vision Wirklichkeit werden kann, ist eine frühzeitige Begeisterung unserer Jugend für die Technik und die Naturwissenschaften, darunter auch die Astronomie nötig. Die Schule wäre dafür der geeignete Ort um den Schülerinnen und Schülern die wichtigsten Kenntnisse über unser Universum zu vermitteln und den Wert der Raumfahrt zu zeigen. Doch leider ist die Situation der astronomischen Schulbildung in Deutschland sehr unterschiedlich. In nur noch wenigen der neuen Bundesländern hat die Astronomie als Schulfach die Reformwut der Bildungspolitik überlebt. In den meisten westlichen Bundesländern findet man astronomische Inhalte in verschiedenen Fächern als möglichen Stoff integriert. Hier sind es oftmals interessierte Lehrer oder als externe Mitarbeiter angestellte motivierte Amateurastronomen, die AGs oder WUs anbieten.
In Baden-Württemberg gibt es in der gymnasialen Oberstufe ein Wahlfach Astronomie. Doch nach dem Willen der Landesregierung soll nun damit Schluß sein. Die Lehrpläne werden derzeit überarbeitet und man möchte scheinbar überflüssiges entfernen. Doch dagegen regt sich schon länger Widerstand.
Dr. Markus Pössel vom Haus der Astronomie auf dem Königstuhl in Heidelberg ist einer der Initiatoren eines offenen Briefes an die Landesregierung von Baden-Württemberg, in dem der Verbleib der Astronomie im neuen Bildungsplan gefordert wird. Den Beitrag von Markus Pössel möchte ich hier teilen und alle Leserinnen und Leser darum bitten den Brief zu unterschreiben. Dies ist noch bis zum 30. Oktober möglich. Allen Unterstützern sage ich hier schön mal herzlichen Dank.
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(Text von Markus Pössel)
In Baden-Württembergs Schulen sah es für die Astronomie bislang gut aus:
Ein Wahlfach in der gymnasialen Oberstufe gab es, im Physikunterricht im
Gymnasium standen für alle physikalische Weltbilder mit Paradebeispiel
Sonnensystem auf dem Plan, und in Geographie war selbstverständlich, dass
die Schüler die Erde als Planet im Sonnensystem verorten konnten. Als
Besonderheit gab es das Verbundfach “Naturwissenschaft und Technik”, in
dem sich Themen aus dem Bereich “Erde und Weltraum”, aber zum Beispiel
auch der Klimawandel interdisziplinär behandeln ließen – gerade weil das
Fach eben nicht auf Physik, Chemie oder Biologie beschränkt war, sondern
Verbindungen ermöglichte.
Ab 2016 bekommt Baden-Württemberg neue Bildungspläne. Die Entwürfe sind
seit Mitte September öffentlich – und in punkto Astronomie einigermaßen
schockierend: Das Verbundfach “Naturwissenschaft und Technik” ist jetzt
ganz auf technische Anwendungen ausgerichtet. Lehrer, mit denen ich über
das Haus der Astronomie im Kontakt bin, haben uns gesagt, dass sie keine
rechte Möglichkeit sehen, ihre astronomischen Inhalte – oft mit viel
Engagement entwickelt und umgesetzt – in dem neuen Rahmen unterzubringen.
Der Trend setzt sich fort: Der Bereich Weltbilder in der Physik ist
gestrichen, und auch in Geografie müssen Schüler in Zukunft nichts mehr
über die Stellung der Erde im Sonnensystem wissen. (Zum Wahlfach
Astronomie und zum 2-stündigen Physikkurs mit Schwerpunkt Astrophysik
liegen noch keine Vorschläge vor; dort werden die zugehörigen
Bildungspläne erst noch entwickelt.)
Der Lichtblick: Noch sind das Entwürfe. Es folgt ein Anhörungsverfahren.
Bis zum 30. Oktober (diesen Freitag!) sind noch Rückmeldungen ans
Kultusministerium möglich. Auf Anregung einer Reihe unserer Partnerlehrer
(insbes. Sven Hanssen aus Stuttgart) hat das Haus der Astronomie einen
Offenen Brief verfasst (aktueller Stand: 890+ Unterschriften), der für die
Astronomie in den Bildungsplänen eintritt. Ich hänge den Text unten an;
wer unterzeichnen möchte, kann das gerne direkt hier in einem
Google-Formular tun:
Den offenen Brief pro Astronomie in Baden-Württemberg unterzeichnen
Wichtig wäre auch, dass das Kultusministerium Baden-Württemberg direkt
Rückmeldung von Lehrer/innen, Eltern, Schüler/innen, aber auch allgemein
an der Astronomie Interessierten bekommt. Das geht über dieses Formular
des Ministeriums:
Rückmeldeformular des Kultusministeriums Baden-Württemberg zu
den Bildungsplänen
Wie gesagt: Rückmeldungen sind noch bis zum Freitag, den 30.10. möglich;
gegen Freitag mittag ich unseren Offenen Brief sendebereit und schicke ihn
ein. Wir sind für jede Unterstützung – von innerhalb oder außerhalb
Baden-Württembergs – dankbar! Astronomie ist die ideale
Einstiegswissenschaft, um Schüler/innen für die Naturwissenschaften ganz
allgemein zu interessieren. Diese Chance sollte Baden-Württemberg sich
nicht vergeben.
Text des Offenen Briefs:
Gemeinsame Stellungnahme: Naturwissenschaften im Bildungsplan 2016
Grundlagenforschung liefert fundamentales Basiswissen über unsere Welt:
von unserer Einbettung in die Welt der Lebewesen (Evolution) bis zu
unserer Verortung auf einem eher kleinen Planeten im großen, weitgehend
lebensfeindlichen Weltall.
In den Bildungsplanentwürfen 2016 wurden Verweise auf unsere Stellung im
Kosmos im Vergleich mit der Version von 2004 so gut wie komplett entfernt.
Die Grundstruktur des Sonnensystems in der Geographie, Weltbilder und
Modelle (mit Beispiel Sonnensystem) in der Physik, ein Bewusstsein für die
Stellung des Menschen im System Erde und Weltall in NwT wurden ersatzlos
gestrichen.
Das bedeutet verpasste Chancen für die Leitperspektiven nachhaltige
Entwicklung (BNE) und Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV), die sich
kaum eindringlicher vermitteln lassen als mit dem Blick auf die Erde als
Planet in den Weiten des Alls. Die zentrale Rolle des “Raumschiffs Erde”
in der Bildersprache des Umweltschutzes ist alles andere als ein Zufall.
Was der in Baden-Württemberg geborene Astronaut Alexander Gerst 2014 von
der Internationalen Raumstation ISS aus an Bildern aufgenommen und über
soziale Medien verbreitet hat, zeigt eindrücklich, wie die Ländergrenzen
beim Blick aus dem All verschwinden – und was wir Menschen bei aller
Verschiedenheit gemeinsam haben.
Ermöglichte “Naturwissenschaft und Technik” (NwT) im Bildungsplan 2004 als
echtes Verbundfach die Möglichkeit, in den Betrachtungsbereichen Mensch,
Umwelt, Erde und Weltraum und Technik komplexe wissenschaftliche Themen
interdisziplinär zu behandeln, ist es in der Version 2016 radikal auf die
Technik und ihre Anwendungen zusammengestrichen worden. Was engagierte
Lehrerinnen und Lehrer in den letzten zehn Jahren für NwT an
Unterrichtseinheiten z.B. zu Astronomie oder Klimawandel entwickelt haben,
ist nur noch eingeschränkt nutzbar, im schlimmsten Falle Makulatur.
Kontext ist für das Lernen naturwissenschaftlicher Themen entscheidend.
Der neue Bildungsplan erschwert Unterricht in denjenigen Kontexten, die
Studien zufolge für Schülerinnen und Schüler am interessantesten sind
(u.a. menschlicher Körper, Astronomie). Vor allem Schülerinnen werden
dadurch benachteiligt: Für sie ist der Kontext “technische Anwendungen”,
entlang dessen der Bildungsplanentwurf NwT strukturiert ist, nachweislich
besonders unattraktiv.
Wir, die Unterzeichnenden, begrüßen sehr, dass es zu den Bildungsplänen
Rückmeldungsmöglichkeiten und ein Anhörungsverfahren gibt, und bitten die
zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kultusministerium
dringend:
- Nehmen Sie den inhaltlichen Kompetenzbereich wissenschaftliche
Weltbilder / Erde und Weltraum wieder in die Bildungspläne für NwT,
Physik, Geographie und Sachkunde auf – im Sinne der Leitprinzipien BNE und
BTV. - Schaffen Sie im Bildungsplan NwT Raum für Kontexte wie Astronomie
und Klimawandel, die für Schülerinnen und Schüler gleichermaßen
interessant sind und Schülerinnen nicht benachteiligen. Stellen Sie
Bestandsschutz für erfolgreiche bisherige Unterrichtskonzepte sicher. - Lassen Sie im Bildungsplan NwT die Wissenschaften gleichberechtigt
neben die Technik treten, damit NwT wieder ein echtes Verbundfach
wird.
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