Wissenschaftstag der ESA in Darmstadt
Am Mittwoch, den 22. Februar 2012 lud die Europäische Raumfahrtorganisation ESA gemeinsam mit HR-Info, dem Hessischen Rundfunk zu einem Wissenschaftstag in die Darmstädter Zentralstation ein. Unter dem Titel „Wo bitte geht’s zum Mars? Entdeckungsreisen der Zukunft“ erfuhr das Publikum über zukünftige bemannte Raumfahrtmissionen der ESA. Gut 500 Raumfahrtfans besuchten den von von HR-Info Moderator und Weltraumexperte des Hessischen Rundfunks Dirk Wagner moderierten Abend.
Mars 500
Die ersten Gesprächspartner von Moderator Wagner waren die beiden europäischen Teilnehmer der Mars 500 Studie, Romain Charles und Diego Urbina. Das von der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos und der ESA durchgeführte Projekt simulierte von 3. Juni 2010 bis 4. November 2011 einen 520 Tage dauernden Raumflug zum Mars. Dazu wurde im Institut für Biomedizinische Probleme in der Nähe von Moskau ein Komplex errichtet, in dem das Innere eines Marsraumschiffes mit Landmodul und eine Marslandschaft nachgebildet ist. Ziel des Projektes war es zu erfahren wie Menschen auf die lange Isolation reagieren. Würde die Crew die physischen und psychischen Belastungen gewachsen sein. Es wurden von der Missionsleitung auch kritische Situationen und Pannen eingebaut, auf die die Besatzung reagieren musste. Einzig die Schwerelosigkeit und die erhöhte Strahlenbelastung die eine Raumschiffcrew während der langen Reise zum Mars ausgesetzt sein werden, konnte nicht nachgebildet werden. Die Crew von Mars 500 bestand aus 6 „Astronauten“, die aus zahlreichen Freiwilligen ausgewählt wurden und für ihre Mission eine Astronautenausbildung durchliefen. Die 3 Russen Sukhrob R. Kamolov, Alexey S. Sitev und Alexandr E. Smoleevskiy, der Chinese Yue Wang, der Franzose Romain Charles und der Italiener Diego Urbina wuchsen bereits in der Ausbildung zu einem Team zusammen. Charles und Urbina stellten sich den Fragen von Dirk Wagner und berichteten von ihrer Mission, ihren Aufgaben und ihren Erfahrungen. Die Crew machte zahlreiche Experimente und waren selber Versuchsobjekt. Für Diego Urbina war es ein besonderes Erlebnis Teil der Landecrew zu sein und Spaziergänge auf dem Mars machen zu dürfen. Dabei kamen auch Geräte zum Einsatz, die in den 1960’er Jahre für die von den Sowjets geplante Mondlandung produziert wurden. Dabei vergaß Urbina auch, dass er Teil einer Simulation war und sich nicht wirklich auf dem Mars befand. Nach den Angaben von Romain Charles war die Zeit der Rückreise der schwierigste Teil der Mission. Routine und Monotonie, die sich eingestellt haben, können gefährliche Folgen haben. Es können sich Fehler einschleichen, die sogar die ganze Mission gefährden können. Auch die lange Isolation zeigte besonders in der Ferienzeit ihre Wirkung. Denn dann bleiben Nachrichten von der Familie aus. Das verstärkt das Gefühl der Einsamkeit. Doch die Crew hielt zusammen und überstand diese Schwierige Zeit. Nach der „Landung“ auf der Erde wurden ganz alltägliche Dinge wie Sonnenaufgänge oder Vogelgezwitscher für die Mars-reisenden zu besonderen Erlebnissen.
FMARS
Von einer etwas anderen Erfahrung wusste ESOC-Mitarbeiter Dr. Markus Landgraf zu berichten. Vom 6. – 27. Juli 2002 befand er sich auf Devils Island im Norden Kanadas und war Mitglied der 7. Crew auf der „Flashline Mars Arctic Research Station“ (FMARS) der Mars Society. Diese Station simuliert ein Mars-Habitat. Ziel dieser Studie ist die Erforschung wie sich die Marscrew während der Zeit auf dem Planeten verhalten und welche Herausforderungen sie sich stellen müssen. Dabei gibt es auch zeitlich begrenzte Außenbordeinsätze. Dr. Landgraf beteiligte sich auch an solchen Außenbordaktivitäten. Dabei suchte er nach Gesteinen und Versteinerungen von frühem Leben, ganz so wie man es wohl auf dem Mars machen würde. Ein Mitbringsel lies er durch die Reihen gehen, ein Fundstück mit der Versteinerung eines Röhrenwurms aus dem Devon. Für Markus Landgraf steht außer Zweifel, dass Astronauten flexibler und gezielter nach Lebensspuren auf dem Mars suchen können als Robotfahrzeuge das könnten, vor allem und das zeigte eines seiner mitgebrachten Bilder, da die Astronauten auch für Roboter unzugängliche Stellen wie Felswände erreichen können.
Reise zum Mars, zum Mond und erdnahen Asteroiden
Wie eine Reise zum Mars aussehen könnte, wie ein Raumschiff konzipiert werden soll, zeigte Missionsspezialist Michael Khan. Er geht von einer Reisezeit von gut 1000 Tagen aus. Auf dem Weg dahin könnten seiner Meinung nach die Astronauten erdnahe Asteroiden untersuchen. Diese recht kleinen Himmelskörper, die lediglich gut 10 mal größer sind als die ISS könnten leicht besucht werden. Die Raumschiffe könnten wegen der geringen Schwerkraft der Asteroiden, in eine nur wenige 10m betragende niedrige Umlaufbahn einschwenken und wegen der geringen Umlaufgeschwindigkeit, die beträgt nur wenige Meter pro Stunde, bräuchten die Astronauten nicht mal eine Landfähre. Die Zusammensetzung und der Aufbau wäre für Khan von Interesse. Er denkt dabei auch daran dass solch ein Brocken der Erde auch mal gefährlich nahe kommen kann. Dann ist es gut wissen mit welchem Aufwand man den Asteroiden von seiner Bahn etwas ablenken kann. Der Mond ist für Michael Khan das nächste Ziel bemannter und unbemannter Forschungsmissionen. Unser nächster Nachbar hat noch viele Rätsel zu bieten, die die Neugier nicht nur der Wissenschaftler der ESA wecken.
Mir, ISS und Lunar Lander
Der letzte Gesprächspartner von Moderator Dirk Wagner war der zweimalige Astronaut und jetzige Leiter des Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb Dr. Thomas Reiter. Reiter war 1995 auf der russischen Raumstation Mir und 2006 auf der ISS, jeweils für beinahe ein halbes Jahr. Seine Erfahrungen decken sich mit denen der Teilnehmer der Mars 500 Studie. Seiner Meinung nach hat die internationale Zusammenarbeit im Bereich der bemannten Raumfahrt eine große Zukunft. So weiß er von einer Reise nach China, wo er die Gelegenheit hatte die chinesischen Raumfahrteinrichtungen zu besuchen, dass die Chinesen ein großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit der ESA haben. Gut möglich also, dass neben Indien auch China sich an bemannten Missionen zum Mond und zum Mars beteiligen. Einer Beteiligung Chinas an der ISS wäre für die ESA auch kein Problem. Das europäische Raumfahrttechnik bei den internationalen Raumfahrtpartnern gefragt ist, zeigt sich auch daran, das Thomas Reiter die bei dem Automated Transfer Vehicle (ATV) eingesetzte Antriebstechnologie der amerikanischen NASA für ihr neues Multi-Purpose Crew Vehicle (MPCV) Orion, dem künftigen amerikanischen Raumschiff, anbieten will.
Von Dirk Wagner angesprochen erläuterte Thomas Reiter eines seiner zukünftigen Wunschprojekte, dem Lunar Lander. Eine Robotmission bei der eine Landeeinheit am Südpol des Mondes abgesetzt und nach Wassereis suchen soll. Wasser wäre eine nötige Resource für eine bemannte Mondstation, die als Forschungsstation und als Sprungbrett zum Mars dienen könnte. Und der Mars, so ist sich Reiter sicher könnte die Antwort auf einer der spannendsten Fragen der Weltraumforschung verbergen. Gibt es Leben außerhalb der Erde? Die Antwort könnte auf dem Mars zu finden sein.
Ob die an diesem Abend vorgestellten Visionen und Träume in den nächsten Jahren tatsächlich umgesetzt werden hängt nicht zuletzt von den politischen Entscheidungen der Ministerratskonferenz der ESA im November 2012 ab. Hier wird die programmatische Ausrichtung, die Politik und das Budget der ESA für die kommenden Jahre bestimmt.
Nach gut 3 Stunden ging ein spannender und interessanter Abend zu Ende und Dirk Wagner vergaß nicht auf eine andere spannende und außerirdische Veranstaltung in Darmstadt hinzuweisen. Denn Weltraum- und Raumfahrtfans treffen sich am 18. und 19. August 2012 in Darmstadt mit Science Fiction Fans bei den Darmstadt Space Days 2012.
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Mars 500
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