Zwei mal schon war Dr.-Ing. e.h. Thomas Reiter im Weltraum. Im September 1995 startete er zusammen mit den beiden russischen Kosmonauten Gidsenko und Awdejew mit Sojus TM-22 zur russischen Raumstation Mir und blieb für 176 Tage an Bord der Station. Am 4. Juli 2006 brachte ihn das amerikanische Space Shuttle Discovery zur Internationalen Raumstation ISS. Im Rahmen der Mission Astrolab gehörte Reiter zur ISS-Expedition 13. Er war der erste deutsche und europäische Langzeitastronaut an Bord der ISS und blieb dort bis zum 19. Dezember 2006. Kein Wunder also, dass er jetzt ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb ist und seit Mai letzten Jahres das Europäische Satelliten Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt leitet.
In dieser Funktion hat Thomas Reiter das Programm der Europäische Raumfahrtorganisation ESA bei einer Pressekonferenz im ESOC in Darmstadt vorgestellt. Dabei verdeutlichte er die vielseitigen Aktivitäten der Europäischen Raumfahrt. Das Budget von gut 4 Milliarden Euro für 2012 verteilt sich auf die Bereiche Trägerraketen, Erdbeobachtung, wissenschaftliche Programme, Navigation, Telekommunikation, Überwachung des Weltraums, Robotmissionen und bemannte Raumfahrt.
Aktivitäten im Bereich Erdbeobachtung
Den größten Anteil der Ausgaben gehen in die Erdbeobachtung. Für 2012 werden mehrere Satelliten zur Erdbeobachtung gestartet. So wird am 23. Mai 2012 der Wettersatellit MetOp in eine erdnahe, polare Umlaufbahn gebracht. MetOp ist ein Gemeinschaftsprojekt der ESA mit der ebenfalls in Darmstadt ansässigen Eumetsat. Im Juni 2012 soll ein weiterer Wettersatellit an den Start gehen. Es wird der 3. Meteosat Second Generation Satellit sein. Dieser wird von einer Ariane V, vom Europäischen Raumhafen Kourou, Franz. Guyana in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht. Kontrolliert wird MSG-3 später von Eumetsat. Mit dem Projekt Swarm, bestehend aus drei Sonden die die Erde in einer polaren Umlaufbahn in Höhen von 400 km bis 500 km umlaufen, will die ESA das Erdmagnetfeld erforschen. Damit möchte man weitere Erkenntnisse über den Aufbau des Erdinneren und den Einfluss des Magnetfeldes auf des Klima gewinnen. Für den Ausbau des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo will man im August und September 2012 2 weitere Navigationssatelliten von Kourou aus starten. Die dann 4 Galileo-Satelliten werden gemeinsam mit dem Bodenstationsnetzwerk auf Praxistauglichkeit getestet. Das Satellitennavigationssystem Galileo wird aus insgesamt 30 Satelliten bestehen. Damit will Europa eine Alternative zu dem amerikanischen GPS-System anbieten, das zum einen eine höhere Auflösung ermöglicht, zum anderen ziviler Kontrolle untersteht.
Missionen zum Mars
Eine der erfolgreichsten Forschungsmissionen der ESA dürfte die Marssonde Mars Express sein. Bereits seit Weihnachten 2003 beobachtet die Sonde unseren rötlichen Nachbarn und liefert faszinierende drei dimensionale Aufnahme von seiner Oberfläche. Dass der künstliche Marsoriter weit mehr kann, hat er schon mehrfach eindrucksvoll gezeigt. So hat Mars Express die Landung der amerikanischen Marssonde Phoenix unterstützt und stellt auch immer wieder den Kontakt zum verbliebenen NASA Marsrover Opportunity her. Im August 2012 wird der Mars Express die NASA bei der Landung des neuen Marsrovers Curiosity unterstützen. Bereits jetzt liefert der Orbiter wichtige Bilder vom Landegebiet auf dem Mars. Von einem eigenen europäischen Marsrover träumt nicht nur Thomas Reiter, sondern auch seine Kollegen im ESOC. 2016 könnte der Traum wahr werden. Denn dann möchten die Marsforscher der ESA den Rover ExoMars, der zusammen mit den Kollegen der russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos auf den Weg gebracht werden soll. 2018 könnte er den Mars erreichen und dort sanft aufsetzen. Kontrolliert wird er dann von Darmstadt aus. Bis dahin heißt es für die Forscher im ESOC Geduld haben. Mit ExoMars soll die europäische Marsforschung nicht aufhören. Mit dem Mars Sample Return soll es möglich sein Proben vom Mars zu sammeln, diese zur Erde zurück zu schicken und hier zu untersuchen. Dabei könnte die Antwort auf eine der spannendsten Frage der Weltraumforschung gefunden werden. Gibt es Leben außerhalb unserer Erde? Der Mars Express und auch die anderen Marsmissionen haben bereits viele Indizien dafür gefunden die dafür sprechen, dass es auf dem Mars einst Umweltbedingungen gab, die die Entwicklung von einfachem Leben möglich erscheinen lassen.
Gefahren aus dem All
Nicht ganz so weit geht der Blick der ESA-Forscher im Bereich der Space Situational Awareness oder Weltraumlageerfassung, die von der europäischen Weltraumorganisation aufgebaut wird. In diesem Aufgabengebiet geht es um den Weltraumschrott (Space Debris), Erdnahe Objekte wie die Erdbahn kreuzenden Asteroiden und Kometen und um das von der Sonnenaktiviät gesteuerte Weltraumwetter.
Der Weltraumschrott sind die Reste von Raumflugkörpern, Raketenteilen und ausgemusterte Raumsonden, die um die Erde kreisen. Schon lange befasst man sich im ESOC mit diesem Thema. Das in Darmstadt angesiedelte Büro für Weltraumschrott versucht Strategien zu entwickeln diesem zunehmenden Problem Herr zu werden, da es künftige Weltraummissionen gefährdet.
Die Beobachtung Erdnaher Himmelskörper wie Asteroiden und Kometen, die die Erdbahn kreuzen erscheint sehr wichtig vor dem Hintergrund, dass solche Teils recht große Objekte eines Tages auf die Erde stürzen könnten und dann enormen Schaden anrichten würden. Dies wird immer wieder gerne dramatisch von der Filmindustrie in Szene gesetzt. Das diese Gefahr durchaus besteht ist man sich auch bei der ESA bewusst. Immerhin kennt man derzeit fast 300 Objekte die in den kommenden 100 – 200 Jahren die Erde treffen könnten, wenn auch derzeit mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit. Zur Beobachtung dieser Objekte sollen 2012 neue Radarsysteme aufgebaut und getestet werden. Damit will man ein eigenes Netz zur Beobachtung aufbauen und Möglichkeiten zur Vorwarnung haben.
Das Weltraumwetter ist abhängig von der Sonnenaktivität. Unser Zentralgestirn gibt einen recht gleichmäßigen Strom an elektromagnetischer Strahlung und geladener Teilchen (Plasma) ab. Dies wird als Sonnenwind bezeichnet. Auf der Sonne kommt es immer wieder zum Auswurf ganzer Plasmawolken, d.h. Wolken geladener Teilchen, bestehend aus Protonen (Wasserstoffkerne), Elektronen und Heliumkerne. Solche Ereignisse werden als Sonnenstürme bezeichnet. Die Sonnenaktivität nimmt in einem Zeitraum von 11 Jahren zu und wieder ab. Dies hängt mit dem Magnetfeld der Sonne zusammen. Besonders in Zeiten hoher Sonnenaktivität kommt es zu einer vermehrten Zahl dieser Massenauswürfe auf der Sonne. Sonnenstürme können, wenn sie auf die Erde treffen oder auf Raumflugkörper, schwere Schäden anrichten. Neben Störungen der Elektronik kann es bei Astronauten auch zu einer erhöhten Strahlenbelastung kommen. Um diese Beeinträchtigungen zu vermindern ist es das Ziel der ESA die Forschung zu verstärken um die Auswirkungen des Weltraumwetters besser zu verstehen. Damit möchte man die Möglichkeit von permanenten oder punktuellen Störungen durch Weltraumwetter vorhersagen können.
Schwerpunkt Bemannte Raumfahrt
Im Juli 2011 ist mit dem letzten Flug der Raumfähre Atlantis die Internationale Raumstation ISS fertiggestellt worden. Die ESA ist an der ISS unter anderem mit dem Columbus Forschungsmodul beteiligt. Dieses Modul ermöglicht die Durchführung einer Vielzahl von Experimenten unter den Bedingungen der Mikrogravitation. Noch bis Mai 2012 befindet sich der ESA Astronaut André Kuipers auf der Station und führt Experimente in den Bereichen der Materialforschung, Fluidphysik und Fundamentalphysik, sowie Biologie und Medizin durch. Er forscht ebenfalls an neuen Technologien, macht astrophysikalische Beobachtungen und Klimaforschung. Für die kommenden Jahre ist der Besuch der 6 neuen ESA-Astronauten geplant, darunter der deutsche Alexander Gerst, der wohl 2014 zur ISS fliegen wird. Zur Versorgung der Astronauten an Bord der ISS und zum Transport von Experimenten stellt die ESA weiterhin den automatischen Transporter ATV zur Verfügung. Neben den bisher geflogenen Transportern „Jules Verne“ und „Johannes Kepler“ wird am 9. März 2012 von Kourou aus mit einer Arian V Rakete der ATV 3 „Edoardo Amaldi“ starten. Anfang 2013 soll der Transporter „Albert Einstein“ zur ISS fliegen und 2014 wird mit ATV 5 der letzte europäische Raumtransporter an der ISS andocken. Das ATV wurde von EADS-Astrium entwickelt und in Bremen gebaut. Wie Thomas Reiter meint, ist es ein gutes Beispiel für Entwicklung von technischem Know How in Europa, dass die internationalen Partner an der ESA schätzen gelernt haben.
Über 2014 hinaus untersucht die ESA in wieweit das ATV in abgewandelter Form in Zukunft genutzt werden könnte. Möglich, dass es als Service Modul für das neue bemannte NASA-Raumschiff MPCV (Multipurpose Crew Exploration Vehicle) genutzt werden könnte. Gleichzeitig möchte die ESA ein neues standardisierte Docking Interface entwickeln, dass es möglich machen soll die Raumschiffe der verschiedenen Nationen untereinander zu koppeln ohne zusätzliche Adaptersysteme.
Für die bemannte Raumfahrt steht in den USA im Februar 2012 an, die auch wichtig für die europäische Raumfahrt sein kann. Die amerikanische Firma Space Exploration Technologies will dann das Raumschiff Dragon testen. Dieses soll in Zukunft bis zu sieben Astronauten zur ISS bringen können und vollständig wiederverwendbar sein.
Erforschung des Mondes
Der Mond hat für Thomas Reiter eine besonderes Bedeutung. Hat er doch, wie Millionen andere Deutsche die Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin am 20. Juli 1969 fasziniert mitverfolgt. Der Mond ist vor Milliarden Jahren durch die Kollision der jungen Erde mit einem Himmelskörper von der Größe des Mars entstanden. Kein Wunder also dass sich Reiter besonders für die künftige Erforschung des Erdtrabanten ausspricht. Ein europäischer Lunar Lander könnte 2018 von Kourou aus an der Spitze einer Sojus-Rakete starten. Ihr Ziel soll die Südpolregion des Mondes sein. Mit dabei soll ein vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR betriebener Mond-Rover sein, der von dem Lunar Lander ausgesetzt würde. Eine der Herausforderungen für diese Mission ist die weiche Landung in schwieriger, felsiger Region. Das erfordert ein automatische Präzisionslandung, bei der der Lander selbstständig Hindernissen erkennen muß. Die Sonde soll nach Wasser, Sauerstoff und andere Ressourcen suchen, die wichtig wären für kommende bemannte Missionen. Eine genauere Untersuchung des Mondbodens ist geplant. Erforscht werden sollen auch die Umweltbedingungen auf dem Mond unter medizinischen Aspekten. Für die europäische Raumfahrt wäre solch eine Mission ein wichtiger technischer Fortschritt auf dem Weg zu bemannten Mondmission und darüber hinaus zu Marsmissionen.
Weichenstellung im November
Ein weiterer wichtiger Termin für die ESA ist im November 2012. Dann wird in Italien die ESA Ministerratstagung stattfinden. Hier werden von den 19 Mitgliedstaaten die Programme und die Politik der ESA für die nächsten Jahre bestimmt. Das beinhaltet auch über welches Budget die ESA in den nächsten Jahren verfügen kann. Finanziert wird die ESA von den 19 Mitgliedstaaten, der EU, sowie der europäischen Kooperationspartner. Der Beitrag der Mitgliedsstaaten bemisst sich nach dem Bruttoinlandsprodukt. Für 2012 liegt das Gesamtbudget der ESA bei ca. 4 Milliarden Euro. Zum Vergleich die NASA verfügt derzeit über ein jährlichen Etat von gut 14 Milliarden Euro, das ist ca. 3,5 mal der Etat der ESA. Der Anteil der Bundesrepublik liegt bei etwa 25% . Das sind gut 750 Millionen Euro. Dieses Geld ist nach Ansicht von Thomas Reiter gut investiert. Die ESA unterhält zwei große, wichtige Zentren in unserem Land. Neben dem ESOC in Darmstadt gibt es das Europäische Astronauten Zentrum EAC in Köln. Das an der ISS angekoppelte Columbus-Modul wird in Kooperation vom DLR Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen gesteuert. In Bremen werden die ATV’s von EADS-Astrium montiert. Der Mitgliedsbeitrag der Bundesrepublik fließt auf diese Weise zurück in den Wirtschaftskreislauf. Es werden Arbeitsplätze erhalten und geschaffen, technisches Wissen für die Zukunft entwickelt und natürlich fördert die ESA auch die Neugier junger Menschen an den Naturwissenschaften. In Zeiten der Eurokrise ist dies wohl ein einmaliges und zukunftsweisendes europaweites Konjunkturprogramm.
Betrachtet man das Budget der ESA genauer, fällt auf, dass der größte Anteil, etwa 860 Millionen Euro in die Erdbeobachtung investiert wird. Auf die Bereiche Telekommunikation und Navigation entfallen mit gut 1 Milliarde Euro ein weitere großer Anteil des Budget. Die Investitionen in diese Bereiche kommen uns zu Gute, in dem wir die mit diesen Mitteln aufgebauten Infrastrukturen nutzen können. Die Erkenntnisse aus der bemannten Raumfahrt werden uns ebenfalls Nutzen bringen. In welcher Form uns die technischen Entwicklungen im Bereich der bemannten Raumfahrt auf der Erde einsetzbar sein werden und zur Lösung drängender Probleme, auch in den armen Ländern beitragen können lässt sich noch gar nicht abschätzen. Für die Zukunft der ESA sieht Dr. Reiter ein hohes Entwicklungspotential.
Bleibt zu hoffen, dass er und seine Kollegen im November den Ministerrat überzeugen können und die ESA in Zukunft mit stabilem Budget weiterarbeiten kann. Eine Aufstockung des Budget ist sicher begrüßenswert.
Videos: Zukünftige Programme der ESA, Weltraumlageerfassung, ExoMars, Lunar Lander
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